"Geisingbergblick" Foto: Bürgerinitiative Bärenstein |
Die deutsche Automobil- und Batterieindustrie, internationale Bergbau-Financiers und die Bundespolitik schauen auf den kleinen Ort Zinnwald bei Altenberg an der deutsch-tschechischen Grenze, in dem die Zinnwald Lithium GmbH schon bald 12.000 Tonnen Lithium pro Jahr fördern will. Während die Bergbauindustrie sich als Nachhaltigkeits- und Wohlstandsgarant präsentiert, bleiben Fragen über die Rentabilität und Konsequenzen für die Bevölkerung offen.
Vom Ursprung zur Anwendung: Die Bedeutung von Lithium
Lithium, vom altgriechischen lithos (dt. Stein), ist ein weiches, silbrig-weißes Metall, das in geringen Mengen in einer Vielzahl von Mineralien auf der Erde vorkommt. Als Reinstoff wurde es erst im 19. Jahrhundert isoliert und angesichts einer Reihe besonderer Eigenschaften für industrielle Zwecke interessant: Beispielsweise werden Metalllegierungen mit Lithium in der Luft- und Raumfahrt sowie für Hochgeschwindigkeitszüge eingesetzt. Auch in der industriellen Trocknungstechnik und als Psychopharmakon findet Lithium Verwendung.
Bis in die 1990er Jahre wurden jährlich lediglich einige Tausend Tonnen Lithium produziert. Mit der Verbreitung der wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Sekundärbatterie veränderte sich der Bedarf und Einsatz von Lithium: Vor allem durch die steigende Verwendung solcher Akkus für Kommunikations- und Unterhaltungselektronik (Mobiltelefone, Laptops, etc.) stieg die weltweite Lithium-Produktion von knapp 10.000 Tonnen Lithium in 1995 auf circa 30.000 Tonnen im Jahr 2015. In jenem Jahr schien die Produktion – nachdem sie zuvor sprunghaft gewachsen war – zunächst ein Plateau erreicht zu haben, doch die der Kommunikationselektronik zugrunde liegende Technologie verschafft Lithium ebenfalls in der E-Mobilität eine neue Rolle.
Ob in Bussen, Personen- oder Lastkraftfahrzeugen – Lithium wird zu einem der wichtigsten Rohstoffe für den ‚grünen‘ Strukturwandel überhaupt. Im Jahr 2022 wurden bereits 130.000 t Lithium extrahiert, mehr als das Vierfache im Vergleich zu 2015. Trotz der Produktionssteigerung konnte die Angebotsentwicklung mit der Nachfrage nicht mithalten, sodass es im Jahr 2017 zu ersten Preisspitzen kam, insbesondere durch die Verbreitung von elektrischen Fahrzeugen auf dem chinesischen Markt. Schon vor der Unbeständigkeit weltweiter Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie kündigte sich somit ein problematischer Bedarf an. Die Weltbank prognostiziert für das Jahr 2050 inzwischen eine benötigte jährliche Lithiumproduktion von mehr als 450.000 Tonnen [1], was circa 350 % der jetzigen globalen Lithiumproduktion entspricht.
Lithium in der Welt, in Europa, in Deutschland
Die Situation auf dem Weltmarkt bleibt dementsprechend angespannt, was auch an der für die Bergbauindustrie ungewöhnlich hohen Unternehmenskonzentration in der Lithium-Industrie liegt: lediglich 5 Unternehmen weltweit sind für über 70 % der globalen Lithiumproduktion verantwortlich [2]. Insgesamt macht europäisches Kapital nur einen geringen Anteil an der weltweiten Bergbauindustrie aus: Von den 200 größten Bergbau-Unternehmen sind lediglich 6 in der Europäischen Union ansässig und das obwohl hier mehr als ein Viertel der weltweit produzierten Metalle verbraucht werden [3]. International konzentriert sich die Lithium-Förderung auf drei Zentren: In China, in Australien (insbesondere im rohstoffreichen und bevölkerungsarmen Nordwesten) und in den Salzwüsten des Drei-Länder-Dreiecks Chile-Bolivien-Argentinien, wobei die Produktionskapazitäten im chilenischen Teil besonders ausgebaut sind. Eine kleinere Rolle spielen die USA, Brasilien und Zimbabwe.
Bisher wurde in Europa Lithium nicht in nennenswerten Mengen gefördert, doch auch hier ist viel im Wandel: Gefördert wird Lithium bisher lediglich in Portugal, eine Reihe weiterer europäischer Lithiumprojekte befinden sich jedoch in der Anlaufphase.
Wie umkämpft solche Projekte sind, zeigt das Beispiel Jadar/Loznica in Westserbien, das nach Demonstrationen von tausenden Menschen in Serbien zunächst von der Politik fallen gelassen wurde, bis es zeitgleich zu einem Staatsbesuch von Olaf Scholz dieses Jahr wieder grünes Licht bekam. In Deutschland wird bisher kein Lithium gefördert, aber auch hier gibt es Explorationsprojekte. Beispielsweise werden Testbohrungen im Rheintal durchgeführt. Hier erhofft man sich, Lithium besonders ressourcenschonend aus Tiefenwassern zu gewinnen. Am fortgeschrittensten unter all diesen deutschen und europäischen Explorationsprojekten ist jedoch das Vorhaben der Zinnwald Lithium GmbH im namensgebenden Zinnwald, Stadtteil der Gemeinde Altenberg an der Grenze zu Tschechien.
Glück auf, Zinnwald
Wie andere Orte im Osterzgebirge kann Zinnwald auf eine mehr als 600 Jahre alte Bergbaugeschichte verweisen: Im Spätmittelalter war das Altenberger Revier für einen Großteil der Zinnproduktion in Mitteleuropa verantwortlich. Diese wurde über Jahrhunderte betrieben, bis sie ihren technischen Höhepunkt im VEB Zinnerz Altenberg fand, der bis 1989 drei Schächte und drei Aufbereitungsanlagen unterhielt. Im Zuge der Treuhandabwicklung wurde aus dem VEB die Zinnerz Altenberg GmbH, die jedoch keine zwölf Monate später bereits schließen musste. „Sozialer Crash in Altenberg“ [4] betitelte die TAZ die Schließung und das nicht nur für die 650 Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verloren. Mehr als 30 Jahre ruhte seitdem die Bergwerkstätigkeit und die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region orientierten sich in der für die Zeit üblichen Tertiärisierung vom Bergbau hin zur Freizeit- und Tourismus-Industrie, ob als Kur- und Wanderort oder als Ziel für Regional- und Wintersporttourismus.
Dennoch waren die geologischen Besonderheiten, die das Erzgebirge einst reich gemacht hatten, nicht vergessen: Der Granitkörper, der sich von Altenberg bis unter das tschechische Cínovec erstreckt, stellt eines der größten Lithium-Vorkommen in ganz Europa dar. Ungefähr ein Drittel davon befindet sich auf der deutschen Seite der Grenze. Nachdem zunächst von 125.000 Tonnen Lithiummetall in der Lagerstätte Zinnwald ausgegangen worden war, schätzt die Zinnwald Lithium GmbH das Gesamtvorkommen aktuell auf 429.000 Tonnen [5].
Das Unternehmen: Die Zinnwald Lithium PLC
Dass sich die Lithium-, Batterie- und Elektromobilitäts-Industrien gerade in Ostdeutschland entwickeln, machen eine ganze Reihe an Unternehmensgründungen und Fabrikeröffnungen wie jene von Tesla, BASF oder CATL in der Region deutlich. Dies ist jedoch nicht das erste Abenteuer, das Ostdeutschland mit alternativer Energieerzeugung erlebt und auch die Hintergründe des gegenwärtigen Lithium-Booms haben hier eine Vorgeschichte: In den 2000er-Jahren wurde bereits ein grüner Strukturwandel in der Region konzipiert, der im Aufbau einer ostdeutschen Windkraft- und Photovoltaik-Industrie bestehen sollte. Eines der Unternehmen in diesem Prozess war die SolarWorld AG, welche im mittelsächsischen Freiberg produzierte. SolarWorld erlangte 2011 Erkundungsrechte für das Lithium-Vorkommen in Zinnwald. 2012 geriet das Unternehmen im Zuge der Krise der deutschen Solarindustrie jedoch in wirtschaftliche Schwierigkeiten, bis es 2017 insolvent wurde.
Im Zuge der Insolvenz fand die Ausgründung der Deutsche Lithium GmbH statt, in der die gewinnversprechenden Erkundungsrechte am Zinnwalder Lithium weiter gehandelt werden sollten. Zunächst wurde das Unternehmen von der britischen Bacanora Lithium PLC erworben, dann an die ebenfalls an der Londoner Börse ansässige Erris Ressources PLC verkauft, welche bis dahin eine kleine Zahl an Lithium-Explorationsprojekten verfolgte. Mit dem Erwerb der Erkundungsrechte wurde das Projekt in Zinnwald jedoch zum Hauptaugenmerk des Unternehmens: Die PLC benannte sich in Zinnwald Lithium PLC um, das Tochterunternehmen Deutsche Lithium GmbH wurde zur Zinnwald Lithium GmbH. Die Erkundungsrechte wurden durch das sächsische Oberbergamt in Schürfrechte bis zum Jahr 2047 überführt und die Projektentwicklung vorangetrieben, während auf unternehmerischer Seite vor allem die Frage der Kapitalakquise geklärt werden musste.
Die weltweite Lithium-Produktion verliert im Zuge des aktuellen Strukturwandels der Elektromobilität zunehmend die Züge klassischer Bergbauindustrien und ähnelt immer mehr anderen stark vertikal integrierten Industrien wie der Chemie- oder Automobilbranche. Dies äußert sich beispielsweise in der zunehmend stärkeren Beteiligung von wertschöpfenden und weiterverarbeitenden Konzernen an der Lithum-Förderung. So auch bei der Zinnwald Lithium PLC, welche zuletzt 25 % ihrer Anteile an die Advanced Metallurgical Group (AMG) Critical Materials N.V. verkaufen konnte. Die AMG betreibt in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) eine Raffinerie für Lithiumhydroxid in Batteriequalität. Nach eigenen Angaben möchte sie dort Material aus den konzerneigenen Minen in Brasilien verarbeiten, der Einstieg in die Zinnwald Lithium PLC lässt jedoch vermuten, dass langfristig auch Lithium aus Zinnwald im unweit gelegenen Bitterfeld zu Lithiumhydroxid verarbeitet werden könnte.
Geschrey und Aufschrei
Das Berg-Geschrey in Zinnwald ist Ausdruck dieses komplizierten Gefüges von politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen. Ziel ist die Sicherung der notwendigen Materialien für europäische und insbesondere deutsche Automobilhersteller. Die Zinnwald Lithium PLC legitimiert ihr Vorhaben vor dem Hintergrund des neuen Europäischen Gesetzes zu kritischen Rohstoffen (CRMA), das in Reaktion auf die Lieferketten-Schwierigkeiten der Corona-Pandemie und die veränderte Beziehung zwischen China, den USA und der EU zustande kam. Als ‚De-Risking‘ beschreibt die Europäische Kommission ihre neue wirtschaftspolitische Strategie: Europäische Rohstoffproduktion soll angekurbelt werden, um Abhängigkeiten zu vermeiden, ohne jedoch das Offshoring nach China gänzlich in Frage zu stellen. Rohstoff-Ökonomie und Geopolitik scheinen dabei im Ungleichgewicht zu sein und es gibt Unklarheiten darüber, ob sich Projekte wie in Zinnwald bei vergleichbar kleinen Vorkommen und hohen europäischen Lohnkosten überhaupt rechnen. In Sachsen schreitet das Projekt jedoch auch mit politischer Unterstützung voran: Im Rahmen des europäischen Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) wollen EU, Bund und der Freistaat Sachsen für die Zinnwald Lithium GmbH und die Group14 Silane GmbH insgesamt 100 Millionen Euro Fördergelder bereitstellen.
Als „verbranntes Geld“ bezeichnet die Bürgerinitiative Bärenstein dieses Vorhaben. Bei der Initiative handelt es sich um den größten und aktivsten Widerstand gegen die Pläne der Zinnwald Lithium PLC in der Region. Bärenstein, eine weitere Gemeinde der Kreisstadt Altenberg, liegt keine 10 Kilometer nördlich von Zinnwald. Dass sich der Protest vor allem hier organisierte und nicht in Zinnwald, liegt an der geplanten Fördermethode: Beim Abbau würde das entstehende Geröll auf Rampen unter Tage in die Region um Bärenstein befördert, wo ursprünglich eine Deponie und Aufbereitungsfabrik geplant waren. Das gesamte letzte Jahr über organisierte die Bürgerinitiative hiergegen Proteste, sammelte Unterschriften und vertrat ihre Interessen in der Lokalpolitik. Die Zinnwald Lithium sei mittlerweile vom Standort Bärenstein für diese Pläne abgerückt, doch auch neuere Pläne für alternative Standorte in der Region lehnt die Initiative ab.
Ursprünglich begründete sich die Opposition der Bürgerinitiative Bärenstein vor allem auf widersprüchliche Interessen in der Landnutzung. Ein prominentes Beispiel ist der Biohof Seifert, der biologischen Ackerbau mit landwirtschaftlichen Erlebnisaufenthalten verbindet und sich durch eine potenzielle benachbarte Deponie in seiner Existenz gefährdet sähe. Es sind zumeist nicht rein landwirtschaftliche Interessen, sondern Bedenken bezüglich des Tourismus im Raum. Die Region ist bekannt für ihre Naturschutzgebiete, die maßgeblich zur touristischen Attraktivität beitragen. Ein Bergbauprojekt, so argumentiert die Initiative, könnte das empfindliche Gleichgewicht dieser Schutzgebiete gefährden und dementsprechend auch den Tourismus in der Region als wichtige Einnahmequelle nachhaltig schädigen.
Ein weiterer zentraler Punkt der Kritik betrifft die Deutungshoheit europäischer Entwicklungspolitik. Nach Jahrzehnten extraktivistischer Nutzung zur Zeit der DDR wurden in den 1990er-Jahren viele Flächen im Osterzgebirge mit europäischen Fördergeldern renaturiert. Die Bürgerinitiative sieht die aktuellen Pläne der Zinnwald Lithium im Widerspruch zu den bereits erfolgten Bemühungen und fordert, dass jeglicher Rohstoffabbau im Einklang mit dem europäischen Lieferkettengesetz stehen solle. In ihrem Positionspapier [6] betont die Initiative: „Diese Vorgehensweise steht im Widerspruch zu den Zielen der Bundesregierung und der EU, die einen ökologisch verantwortungsvollen und sozial verträglichen Lithiumabbau anstreben.“ Folglich wehrt sich die Initiative auch gegen den Vorwurf, eine Politik der abgehängten Modernisierungsgegner zu verfolgen. Beispielsweise schlägt die Bürgerinitiative alternative Investitionen in Technologien wie BECCS (Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung) oder Pyrolyse-Kraftwerken vor.
Im Konflikt zwischen Unternehmen und Bürgerinitiative wird der grüne Strukturwandel zur Frage der historischen Erfahrung: Stellt der Lithium-Bergbau den industriellen Fortschritt Europas dar? Oder verdammt er Bevölkerungen zurück in die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts? Die Initiative rekurriert auf ein Geschichtsverständnis, das die Verelendung und die traumatischen Erfahrungen mit Asthma und anderen Gesundheitsproblemen, die die Region in der Vergangenheit erlitten hat, in den Vordergrund stellt. Diese Sorgen, insbesondere um die Gesundheit ihrer Kinder, treiben die Menschen vor Ort an, sich entschieden gegen den Lithiumabbau zu wehren. Trotz dieser Proteste wird Lithium mit einiger Wahrscheinlichkeit bald auch in Sachsen gefördert werden. Es lohnt sich, die Entwicklungen in der Grenzregion weiterhin im Auge zu behalten: Es eröffnen sich hier Widersprüche, die möglicherweise schon bald im Zentrum deutscher und europäischer Politik und Gesellschaft verhandelt werden.
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Im Rahmen des Projekts "Johanngeorgenstadt als verschwindende Stadt - eine historische und geographische Mikrologie des Verlusts" befasste sich Artur Bleischwitz (Wissenschaftliche Hilfskraft der AG Sozialgeographie) mit der Materialität Lithium und dessen Verbindung mit Zinnwald, Altenberg im Osterzgebirge.
Quellen:
[1] Minerals for Climate Action (2021), Weltbank:
[4] Sozialer Crash in Altenberg (1991), Frank Wetzel in der taz: https://taz.de/Sozialer-Crash-in-Altenberg/!1726422/