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Warntag 2020: Anmerkungen zur Sozialgeographie der Warnkommunikation

Foto von Photos Hobby via Unsplash
 

Die Vorwarnung zur Warnung

 

Am 10. September 2020 war der erste bundesweite Alarmtag. Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz soll der bundesweite Alarmtag jährlich an jedem zweiten Donnerstag im September stattfinden. Ziel sei es, so gibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zur Kenntnis, die Akzeptanz und das Wissen um die Warnung der Bevölkerung in Notsituationen zu befördern und auch zur Responsibilität anzuregen. Dazu sollen stets alle möglichen Kanäle zur Warnung genutzt werden. Dies schließt Radio, Fernsehen, soziale Medien, die Warn-App NINA, Sirenen, Lautsprecherwagen sowie auch digitale Werbetafeln ein. Zuständig für die Warnung der Bevölkerung ist auf der Bundesebene das BBK, auf Länderebene die jeweiligen Innenministerien und auf kommunaler Ebene die jeweils zuständigen Behörden mit Sicherheitsaufgaben im Katastrophenschutz.

 

Was der erste bundesweite Alarmtag aber gezeigt hat: es gab vor allem viel Alarm um nichts. Vielerorts wurde berichtet, dass die Sirenen nicht ertönt sind. Bei entsprechenden Apps, vor allem der NINA-App, hat die Warnung zum Teil ebenfalls nicht funktioniert. Das Bundesinnenministerium wertet den Probealarm als „Fehlschlag“ und es werden seitens des Bundes sowohl technische Probleme als auch Abstimmungsprobleme zwischen Ländern und Kommunen als Ursache genannt.

 

Ein Fehlschlag mit Ansage, da die Bekanntgabe des Warntags über die klassischen Medien und sozialen Medien gut funktionierte. Festzuhalten ist aber auch: die Vorwarnung zur Warnung war gelungen.

 

Einheitliche Warnkommunikation?

Erwartet wurde vielerorts vor allem das typische Geräusch von Sirenen. In den letzten Jahren war allerdings zu beobachten, dass in vielen Städten und Kommunen Sirenenanlagen abgebaut wurden. Nach dem Kalten Krieg wurde die Auflösung des Zivilschutz-Sirenennetzes durch den Bund beschlossen. 80.000 Standorte der vom Bund betriebenen Sirenen in Deutschland wurden den Gemeinden bis 1993 kostenlos zur Übernahme angeboten. Die Hälfte der Sirenen wurde schließlich inklusive der Auslöseinfrastruktur, d.h. Warnämter sowie das Sirenensteuergesetz, aufgelöst bzw. suspendiert. Gleichzeitig beschlossen aber manche Städte und Gemeinden in die Sanierung oder den Neuaufbau eines digitalen Sirenennetzes zu investieren.

Heute gibt es schätzungsweise ca. 15.000 aktive Sirenen (und eine unbekannte Anzahl inaktiver Sirenen), die ein Warnsignal ausgeben können. Betrieben werden diese Sirenen von den Kreisen bzw. kreisfreien Städten. In vielen Städten wie in München werden keine Sirenen mehr betrieben (z. T. aber nicht zurückgebaut), manche Städte wie Karlsruhe hingegen haben aufgerüstet. Allerdings gibt es keine genauen Informationen wie viele einsatzfähige Sirenen mit welchem technischen Stand es im Bundesgebiet überhaupt gibt. Zuweilen sind noch nicht mal die Standorte bekannt.

Wer ist überhaupt für die Warnung und die Warnanlagen zuständig? Juristisch und organisatorisch ist zwischen Zivilschutz (z.B. im Verteidigungsfall laut Art. 73, Abs. 1, Nr. 1) des GG) und Katastrophenschutz (nach Art. 30, Art. 70 des GG) zu unterscheiden. Im Verteidigungsfall obliegt dem Bund die Pflicht die Länder zentral zu informieren. Der Bund würde gleichzeitig Warnmeldungen über Rundfunk, Presseagenturen, Fernsehen und angeschlossene Multiplikatoren (z.B. Deutsche Bahn) ausgeben. Ebenfalls würde die Warn-App NINA (Notfall-Informations- und Nachrichten-App) mit einer Warnmeldung bespielt. Für die Warnung der Bevölkerung im Zivilschutz sind hingegen gemäß föderaler und gesetzlicher Regelungen die Behörden der Länder zuständig. Diese haben auch eigene Lagezentren, delegieren aber die Aufgaben gemeinhin an die Kreise und die kreisfreien Städte weiter; institutionell ist die Warnung und Information der Bevölkerung also zumeist bei den örtlichen Katastrophenschutzstellen angelagert. Der Bund hat für dieses Nebeneinander unterschiedlicher Warnkanäle einen strategischen Begriff gefunden: das modulare Warnsystem (MoWaS).

 

Die Kombination verschiedener Warnkanäle ist aber nicht per se ein Problem, sondern in Bezug auf verschiedene Bedürfnisgruppen sogar sinnvoll. Damit ergibt sich in geographischer Reichweite und sozialer Durchdringung ein Flickenteppich der Warnung. Da die meisten Notlagen regional begrenzt sind und der Fall einer flächendeckenden Warnung im gesamten Bundesgebiet eher unwahrscheinlich ist, so mag dies auch ausreichen. Dennoch lässt sich festhalten, dass eine einheitlich geregelte Warnung und Information der Bevölkerung im Ereignisfall derzeit auf dem Gebiet der Bundesrepublik nicht möglich ist. Weder theoretisch noch – so zeigt es der 10. September 2020 – praktisch.

 

Zur Bedeutung des Ausbleibens von Warnsignalen

 

Erstaunlich sind die Stellungnahmen zum Thema. Die Feuerwehr München teilte zum Beispiel mit, dass über das modulare Warnsystem erst verspätet eine Meldung an die App KATWARN ausgegeben wurde. Erstaunlich ist, dass die Feuerwehr München vor allem auf die KATWARN-App verweist, die von der Fraunhofer-Gesellschaft getragen wird und die vom Bund betriebene NINA-App in München weniger im Vordergrund zu stehen scheint. Denn es ist eigentlich genau die NINA, die zukunftsträchtig in Kombination mit der digital aufgerüsteten Sirene ist. Es ist aber neben den offensichtlichen Kommunikationsproblemen deutlich geworden, dass die Kommunikation über Twitter, Facebook und die öffentlichen Medien hervorragend funktionierte. Sowohl die Vorwarnung zur Warnung als auch der mediale „Fallout“ nach dem Fehlschlag – die Kommunikation lief einwandfrei. Das Problem dabei ist nur, dass eben solche Medien aus Sicht der Behörden im Katastrophenfall eben keinen direkten Zugriff durch den Staat ermöglichen. Die Kommunikationshoheit bleibt in den Händen der privatwirtschaftlich organisierten Medien. Vor diesem Hintergrund wirkt dann ein Statement des Präsidenten des BBK auf einer Pressekonferenz am 10. September 2020 eher bizarr: „Wir müssen feststellen, dass die Bevölkerung in Deutschland eigentlich vergleichsweise unvorbereitet auf Krisen- und Katastrophenlage ist. […] Das sehen wir auch beispielsweise bei der Frage – und jetzt sind wir beim Thema Warnung – was bedeuten Sirenensignale?“. Die Frage, die sich nun stellt ist, was bedeutet es, wenn Sirenen- und Warnsignale ausbleiben? Festzustellen ist, dass wir in Bezug auf flächendeckende Warnung in Deutschland eine auf Krisen- und Katastrophenlagen vergleichsweise unvorbereitete Bundesbehörde haben.

 

Sinnvoll wäre es politisch dafür zu sorgen, dass soziale Medien wie Facebook und Twitter stärker in die Pflicht genommen werden müssen in der Risiko- und Sicherheitskommunikation mit dem Bund zusammenzuarbeiten. Deutlich sollten zudem die Ressourcen für Weiterentwicklung der NINA-App erhöht werden. Und zudem braucht es endlich mal eine flächendeckende Bestandsaufnahme – zum Beispiel als ein Citizen-Science-Projekt – der im Bundesgebiet vorhandenen Sirenen-Anlagen, deren digitale Ertüchtigung und eine einheitliche Regelung für deren Einsatz. Ein smarter Bevölkerungsschutz könnte so erreicht werden.

 

Zum Thema:

Runkel, S. (2018): Smarter Bevölkerungsschutz? Risiko- und Sicherheitskommunikation zwischen Warnung und Werbung. In: Bauriedl, S. u. A. Strüver (Hrsg.): Smart City - Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Transcript, Bielefeld. S. 127-138.

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