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"Wie das Verhalten des Kapitals die Entwicklung von Orten beeinflusst - die wandelbare Geschichte von Ferropolis". Ein Essay von Hannes Hochheim

Melt! Festival 2016 auf dem ehemaligen Tagebaugelände
Bildquelle: imago/STAR-MEDIA

 

1 Einleitung

Ferropolis – die Stadt aus Eisen. Das mag vielleicht wie der Nachbarort von Futurama und wie ein Projekt der Zukunft klingen. Doch dieses wird es nicht erst in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten geben, es existiert bereits jetzt – und zwar im Herzen von Mitteldeutschland.

Der heutige Ort Ferropolis ist bundesweit bekannt als besonderer Veranstaltungsort für zahlreiche Festivals wie beispielsweise Melt!, splash! oder dem United Queer Festival. Besonders macht ihn das Ensemble aus fünf dominanten und ob ihrer Größe monströs wirkenden Kohleförderbagger. Ein Ort, der in diesen Zeiten, in denen tausende von Besuchern dorthin strömen, voller Kreativität, Lebensfreude, Toleranz und Farben ist. Doch so farbig und abwechslungsreich wie die Gegenwart war die Vergangenheit von Ferropolis in keinem Fall. Eigentlich war sie grob formuliert nur eines: braun!

Ferropolis trägt seinen heutigen Namen erst seit 1995, dem Jahr, als die Eisenstadt gesetzlich geründet wurde (Vgl. Schwarzer 2008: 129). In den Jahren zuvor haben dieser Ort und seine ihn umgebende Region einen umfassenden Wandel durchlaufen. Ein Wandel von einer dreckigen Hochburg der Rohstoffindustrie hin zu einem Denkmal der Vergangenheit, der Innovation und Zukunft. Über Jahrzehnte hinweg wurde im Tagebau Golpa-Nord, der – wenn man so will – „Vorgängerbezeichnung“ von Ferropolis, Braunkohle staatlich verordnet abgebaut, bis die Stilllegung in den 1990er-Jahren erfolgte.

Anhand dieses akademischen Essays soll die Frage untersucht werden, wie sich die Verhaltensweisen und -tendenzen des Kapitals im Raum auf die Entwicklung des heutigen Ferropolis ausgewirkt haben und welche Rolle diese dabei einnahmen. Dabei wird im Folgenden versucht, nach einigen wenigen Informationen über den geistigen „Begründer“ der eingenommenen Denkrichtung, David Harvey, Verknüpfungen zwischen der Entwicklung dieses fast beispiellosen Standortes sowie der Relevanz des Kapitals für diese Entwicklung herzustellen, um die Zusammenhänge in ihrer zeitlichen Abfolge beispielhaft zu verdeutlichen. Der Essay wird durch die dem Werk „Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus“ von D. Harvey aus dem Jahr 2015 (deutsche Ausgabe) zugrundeliegende Argumentation sowie den Beitrag „Ferropolis. Vom Tagebau Golpa-Nord zum Industriedenkmal und Veranstaltungsort“ von M. Schwarzer (2008), der besonders den historischen Entwicklungsaspekt herausstellt, argumentativ gestützt.

 2 Hauptteil

 David Harvey ist einer der einflussreichsten Sozialgeographen des 20. Jahrhunderts. In seinem Werk „Social Justice in the City“, in dem er sich unter anderem mit den Prozessen der Segregation in Baltimore Ende der 1960er-Jahre auseinandersetzte und die Ansicht vertritt, dass Raum nur in Bezug auf gesellschaftliche Prozesse relevant sei, legte er erstmals seine neomarxistische Perspektive auf Raum dar. In späteren Arbeiten thematisierte er Ungleichheiten, so auch in „Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus“ von 2014 (englischsprachiges Original), in dem er unter anderem die Bewegungen und Akkumulationen des Kapitals in räumlicher Perspektive untersucht.

Die zugrundeliegende Annahme und der Ausgangspunkt der Argumentation lässt sich wie folgt formulieren: „Das Kapital strebt danach, eine [geographische] Landschaft zu produzieren, die für seine eigene Reproduktion günstig ist“ (Harvey 2015: 167). Er charakterisiert damit das Verhalten des Kapitals, dass sich bevorzugt in Regionen und an Standorten anlagert, die das Potential haben, noch mehr Kapital hervorzubringen (was mit ‚Reproduktion‘ gemeint ist). Infolge einer Anlagerung und eventuell auch baulichen Fixierung von (überschüssigem) Kapital innerhalb einer Region wird folglich der Wohlstand in dieser erhöht (Vgl. Harvey 2015: 171). Daraufhin wird diese Region aus mehreren Perspektiven, vor allem aus ökonomischer, attraktiver, wodurch noch mehr Kapital in die Region verlagert wird. Dieser dynamische Prozess aus Kapitalanlagerung und -mobilisierung soll nun exemplarisch an der Entwicklung von Ferropolis aufgezeigt werden.

Beginnen wir also ganz am Anfang der Geschichte dieses Ortes, als dort, circa 70 km nördlich von Leipzig, außer kleinen Ortschaften, Feldern, Wiesen und Wäldern wahrscheinlich nicht viel Weiteres anzutreffen war. Dies änderte sich grundlegend im Jahr 1957, als begonnen wurde, die notwendigen Vorkehrungen zum Kohleabbau zu treffen (Vgl. Schwarzer 2008: 130). Auf Initiative der Staatsführung der DDR wurde also vorhandenes Kapital in diese Gebiete mit fördernswerten Braunkohlevorkommen verlagert, um sie zu wichtigen Industrieregionen zu entwickeln. Hierbei kam es nun laut Harvey zur „Kombination zweier Aspekte von besonderer Bedeutung: die unzähligen molekularen Prozesse der Kapitalakkumulation in Raum und Zeit und der Versuch der Staatsmacht, den Landschaftsraum zu organisieren“ (Harvey 2015: 167). Das Kapital akkumulierte sich nun in diesen Regionen und es manifestierte sich im Aufbau einer schwerindustriellen Infrastruktur, in der es langfristig fixiert wurde. So geschehen auch am Standort Golpa-Nord. 1964 fand der dortige Transformationsprozess seinen Abschluss. „Nach siebenjähriger Vorbereitung konnte […] die Rohkohleförderung im Regelbetrieb beginnen“ (Schwarzer 2008: 130). Die Braunkohle war der bedeutsamste Energielieferant in der damaligen DDR. Mithilfe des „braunen Goldes“ wurde primär Strom erzeugt, um den steigenden landesweiten industriellen wie privaten Energiebedarf zu decken. Harvey charakterisiert Rohstoffförderung als „die immobilste Kapitalform. Gewöhnlich bleibt sie längere Zeit an einem Ort“ (Harvey 2015: 169), da die Industrie des primären Wirtschaftssektors räumlich gebunden und abhängig ist von den (meist fossilen und unterirdischen) Förderprodukten. Innerhalb dieser vom Staat aufgebauten Kohleförderregionen um den Ballungsraum Leipzig-Halle haben sich nun die Prozesse der Kapitalakkumulation verdichtet, wodurch es dort zu einer Spezialisierung samt wohlfahrtserhöhenden Effekten und Zuzug kommt. Ebenfalls wurden (teils auch staatlich initiiert) Arbeitskräfte in die Region verlagert. Dies führt laut Harvey dazu, dass diese „fortgeschritteneren Regionen für das Kapital attraktiver [sind], was zu größeren Steuereinahmen führt, die wiederum in die Infrastruktur […] gesteckt werden – was noch mehr Kapital und Arbeitskräfte in die Region zieht“ (Harvey 2015: 171). Es ergaben sich somit durch die Anlagerung des Kapitals in Golpa-Nord positive, kumulative Selbstverstärkungseffekte für diesen Ort.

Bereits wenige Jahre nach dem Beginn der Rohstoffförderung schien das Großprojekt jedoch schon wieder nahezu beendet. Eine mehrjährige Abbaupause erweckte diesen Eindruck. Doch aufgrund des wieder eintretenden Energiemangels wurde der Tagebau wieder reaktiviert. Hierbei erscheint es ungewöhnlich, dass das Kapital trotz längeren Stillstandes in Golpa-Nord verblieb und der Ort nicht gleich wieder vom Kapital verlassen und entwertet wurde. Schließlich generierte das dort akkumulierte Kapital in diesem Zeitraum keinen Profit und schien nutzlos angelegt. Dies würde den Zusammenhang von Kapitalverhalten und der Entwicklung des Ortes einschränken und gegen die Fragestellung des Essays sprechen. Es lässt sich jedoch vermuten, dass dieses für das Kapital ungewöhnliche Verhalten mit dem Wirtschaftssystem der DDR in Zusammenhang steht. Anders als im Kapitalismus kann sich das Kapital in der Planwirtschaft durch die weitreichende staatliche Lenkung vermutlich weniger frei im Raum bewegen, wodurch sich erklären ließe, warum das Kapital trotz Stillstand dort zunächst verblieb.

Doch als die Pause überwunden war, gruben sich die großen Förderbagger und -techniken scheinbar unerbittlich und unaufhaltsam ihren Weg immer weiter und tiefer in die Landschaft. Dabei machte es weder vor Menschen noch vor Ortschaften halt. Der Ort Gremmin wurde beispielsweise schlichtweg überbaggert und die Heimat einiger Menschen somit ausgelöscht (Vgl. Schwarzer 2008: 131). In diesem Zeitraum des aktiven Braunkohleabbaus „bewegte sich [die Maschinerie] über 40 Jahre hinweg [scheinbar unaufhaltsam] im Uhrzeigersinn um einen Drehpunkt“ (Schwarzer 2008: 131). Wie ein gigantisches Uhrwerk, das sich um die zentrale Koordinationsstelle des Werkes langsam, aber unaufhörlich immer weiterdrehte – bis es irgendwann zum Stillstand kam. Dieser Ort schien eben seine eigenen Zeitgesetze zu haben…

Dieses Irgendwann bahnte sich Ende der 1980er-Jahre an. Im Zuge des Zerfalls des Ostblockes und der DDR sowie der sich anschließenden Deutschen Wiedervereinigung wurde im Jahr 1991 (Vgl. Schwarzer 2008: 131) die aktive Kohleförderung in Golpa-Nord beendet. Bis dahin wurde jedoch in den Vorjahren ganze Arbeit geleistet. Zu diesem Zeitpunkt war es „das letzte vollständig abgebaute Gebiet der Region“ (Schwarzer 2008: 131). Die Wiedervereinigung und der damit einhergehende Wandel des politischen Systems bedeuteten im Osten gleichwohl eine grundlegende Änderung der Wirtschaft. Der immense Fokus der Planwirtschaft auf inländische Rohstoffförderung spielte in der Marktwirtschaft eine etwas geringere Rolle. Hinzu kommt, dass mit dem Ruhrgebiet in Westdeutschland sehr ergiebige und strukturstarke Rohstoffförderstätten vorhanden waren. Die Tagebaue des Ostens und somit auch Golpa-Nord wurden quasi „von heute auf morgen“ überflüssig – auch für das Kapital. Diesen enorm schnellen und kurzfristigen Sinneswandel beschreibt Harvey wie folgt: „Eine geographische Landschaft, die in einer bestimmten Phase der Kapitalakkumulation dienlich ist, kann in der nächsten zur Fessel werden“ (Harvey 2015: 177). Solche „regionale Beschäftigungs- und Produktionskrisen verweisen in der Regel auf Machtverschiebungen der Kräfte, die die geographische Landschaft des Kapitals produzieren“ (Harvey 2015: 172), hin. In diesem Fall bilden der Niedergang der DDR und die Wiedervereinigung die Grundlage dieser Machtverschiebung. Golpa-Nord ist somit ein gutes Einzelfallbeispiel dafür, wie sich der erfolgte Strukturwandel konkret - in diesem Fall negativ - auf einen einzelnen Standort auswirkt.

Infolge der plötzlichen Bedeutungslosigkeit dieser Gebiete kann man in den darauffolgenden Jahren unter Anwendung von Harvey´s Logik feststellen, dass nun das Kapital den Standort verließ, um in einen mehr „Profit verheißenden Raum […] [zu] fließen“ (Harvey 2015: 176). Im Zuge dessen gab das Kapital Standorte wie Golpa-Nord auf, wodurch diese entwertet wurden. Diese Vorgehensweise liegt in der Natur des Kapitals: um nicht dauerhaft an diesen nun konkurrenzschwächer gewordenen Orten zu erstarren oder gar im schlimmsten Fall selbst entwertet zu werden, wanderte es nun unter anderem aus Golpa-Nord - um bei unserem Fallbeispiel zu bleiben - in gewinnbringendere und florierende Regionen (Vgl. Harvey 2015: 176). Oftmals führte der Weg des Kapitals aus der früheren DDR in den vormaligen Westen Deutschlands. Die Abwanderung des Kapitals hatte enorme Strukturprobleme und lokale Krisen der Beschäftigung zur Folge, die in Ostdeutschland bis heute noch nachvollziehbar sind. Man bedenke die Lohnunterschiede zwischen Ost und West, um nur ein Beispiel zu nennen.

Nach der Wende wurde die Rückgewinnung des vom Menschen (aus)geraubten Lebensraumes als deklariertes Ziel ausgerufen. Das ehemalige Tagebaugebiet sollte zunächst geflutet werden, um die Renaturierung und Nutzung als See samt kleinem Naherholungsgebiet voranzutreiben. So begann 1999 die geplante Flutung, welche bis 2005 andauerte (Vgl. Schwarzer 2008: 132). Eine praktikable Lösung für die geschädigte Natur war somit langfristig gefunden. Blieb nur noch die Frage: Wohin mit der schwerindustriellen Technologie? Die dabei scheinbar naheliegendste Vorgehensweise wurde auch überwiegend praktiziert: die Abraumbagger, die man in diesem Zusammenhang als langfristig fixiertes Kapital betrachten kann, wurden verschrottet (Vgl. Schwarzer 2008: 129). Das darin fixierte Kapital wurde so in der Regel vernichtet und entwertet. Doch entgegen dieser gängigen Praxis sollte selbiges in Golpa-Nord verhindert werden. Anstatt der Beseitigung oder Überdeckung sämtlicher Spuren des Tagebaus sollte das ursprüngliche Gesicht dieses Ortes zumindest in Ansätzen erhalten werden. Die Vergangenheit sollte nicht verwischt, sondern sichtbar gemacht werden. Für diese Idee zeichnete sich eine Arbeitsgruppe der unweit von Golpa-Nord ansässigen Bauhaus-Universität Dessau maßgeblich verantwortlich. Es wurde die Frage gestellt, „wie mit dem radikalen Umbruch der industriellen Gesellschaft und der damit verbundenen sozialen Verwerfungen, dem Überflüssigen an Baulichkeiten und Material, dem Verlust an Identitäten und Zukunftsvertrauen umgegangen werden kann“ (Schwarzer 2008: 133 f.). Diese Frage trifft die durch den Systemwechsel hervorgerufenen Probleme auf den Punkt und offenbart zugleich deren Multidimensionalität und umfassenden Charakter. Das Kapital hatte gewiss einen maßgeblichen Anteil an beispielsweise dem Verlust von Identitäten und Zukunftsvertrauen. Es verließ diesen Ort und die Region, um in für seine Bedürfnisse günstigere zu ziehen und hinterließ eine geographische Landschaft, die weitgehend entwertet und auch frei von Nutzen geworden ist.

Den Zeitpunkt des Aufkommens der obigen Fragestellung kann man als imaginäre Geburtsstunde von Ferropolis betrachten. Mit der entstandenen Idee, diesen Ort so umzugestalten, wie er heute vorzufinden ist, wurde außerdem die Grundlage dafür gelegt, dass wiederum Kapital zu diesem Standort fließen kann. Mit der „offizielle[n] Stadtgründung am 14. Dezember 1995“ (Schwarzer 2008: 134) war der erste Höhepunkt der Transformation erreicht. In den anschließenden Jahren wurde die eigentliche Gestaltung des Geländes vorangetrieben. Nach und nach wurde das große Potential hinter der umgesetzten Idee offensichtlich. Auch das Kapital wurde schnell darauf aufmerksam. Im Zuge des Planungsprozesses konnten zahlreiche Förderstellen und Investoren aktiviert werden, die ihr Kapital wiederum nach Ferropolis verlagerten. Dort akkumulierte es sich, manifestierte sich im Aufbau des Veranstaltungsgeländes und existiert nun als neues Kapital neben dem jahrzehntelang in den Baggern fixierten (welches jedoch aufgrund der Rolle als – wenn man so will - bloße Statisten wahrscheinlich nicht mehr sehr wertvoll ist). Bis heute blieb es vor Ort. Der Grund dafür ist eben neben dem bloßen Potential die Kreativität und die Einmaligkeit des Ortes Ferropolis samt seiner besonderen Entwicklung. Diese Einmaligkeit spiegelt sich in den Besucherzahlen der jährlichen Festivals wider. Wo bekommt man schon ein vergleichbares Flair geboten? Das Ensemble der großen Fördergeräte wirkt heute wie aus der Zeit gefallen – und gerade darin liegt der Reiz dieses Ortes. Er ist „mehr als ein [bloßer] ‚Friedhof der Industriemoderne‘. Er ist Abschied und Aufbruch zugleich“ (Schwarzer 2008: 136). Ferropolis vereint in sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in besonderer Weise und eröffnet dadurch vielerlei lohnende Fragen und Perspektiven. Eine davon ist die Betrachtung nach Harvey, wie sie in diesem Essay dargelegt wurde. 

 3 Schluss

Anhand der bis hierher aufgezeigten, wandelvollen Entwicklung vom Tagebau zum Veranstaltungs- und Erinnerungsort ist deutlich geworden, dass David Harvey´s Ansätze zur geographischen Ungleichheit sehr passend auf das abgehandelte Beispiel des heutigen Ferropolis übertragbar sind. Die Geschichte dieses Ortes wurde maßgeblich durch die Bewegungen des Kapitals geprägt. Infolge der Inwertsetzung von Golpa-Nord wurde zunächst auf Initiative der Staatsmacht Kapital dorthin ver- und längerfristig angelagert, von welchem es im Kontext der Wendezeit und dem Zusammenbruch der DDR wieder verlassen wurde. Dies führte an solchen vormals wichtigen Standorten zur plötzlichen Bedeutungslosigkeit. Durch die Initiative, die Geschichte des Standortes in der Gegenwart präsent zu machen und für die Zukunft zu erhalten und die anschließende Umgestaltung, konnten erneute Kapitalflüsse in das vormalige Golpa-Nord erzeugt werden. Das Kapital lagerte sich nun langfristig hier an und scheint sich salopp formuliert genauso wie die gegenwärtigen Festivalbesucher „wohlzufühlen“. Somit sollte in diesem Essay deutlich geworden sein, dass das Verhalten des Kapitals maßgeblich die Entwicklung des Ortes beeinflusst und mitgeprägt hat und auch mitunter die Wandelbarkeit der Geschichte bedingt hat.

Ferropolis eignet sich aufgrund seiner einfach beispiellosen Transformation neben der bisherigen Betrachtung zur Einnahme weiterer Perspektiven, wie man diesen Ort samt seiner Entwicklung sehen und denken kann. Es wäre beispielsweise vorstellbar, dass man ihn im Kontext von Doreen Masseys Verständnis von „places“ in seinem Wandel betrachtet, was zweifelsohne viele interessante Fragestellungen und Einblicke bieten würde.

An dieser Stelle ist noch wichtig zu erwähnen, dass dieser Essay in keinem Fall die Wiedervereinigung als primär negatives Ereignis für Ostdeutschland charakterisieren will. Ebenso wenig sollen hier gedankliche Gräben und Konkurrenzen zwischen Ost und West geschaffen werden. Die Deutsche Wiedervereinigung war für Gesamtdeutschland ein notwendiger Meilenstein und bis heute können und sollten wir froh sein, in einem freien, demokratischen und nicht-geteilten Land zu leben. Aus objektiver Sicht steht jedoch auch außer Frage, dass die Wiedervereinigung auf Ostdeutschland nicht nur positive Auswirkungen hatte. Anhand des hier behandelten Beispiels liegen dabei nun mal besonders die negativen Aspekte nahe, um daran die Ansichten von David Harvey zu verdeutlichen.

 Literatur

Harvey, D. (2015): Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus. Berlin: Ullstein.

Schwarzer, M. (2008): „Ferropolis“. Vom Tagebau Golpa-Nord zum Industriedenkmal und Veranstaltungsort. In: Herrmann, B. & Dahlke, C. (Hrsg.): Schauplätze der Umweltgeschichte. Werkstattbericht. Göttingen: Universitätsverlag, 129-138.

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