Foto: Dominique Kauer |
Vor allem in Deutschland vollzogen sich die Prozesse in einer derartigen Geschwindigkeit, dass sich der Fall ‚Ostdeutschland‘ in gewisser Weise von anderen Staaten unterscheidet. Um also der Frage nachzugehen, was Transformation konkret in Bezug auf Ostdeutschland bedeutet, soll die Niedergangsperiode der DDR mit dem anschließenden Übergang in den Kapitalismus auf wirtschaftlicher Ebene und in die Demokratie auf politischer Ebene in dem ersten Kapitel „Niedergang und Transition“ angerissen werden. Darauf aufbauend werden die Charakteristika der post-sozialistischen Transformation in Ostmitteleuropa nach János Kornai im zweiten Kapitel beschrieben. Zuletzt folgt die Bezugnahme zum konkreten Fall ‚Ostdeutschland‘ im dritten Kapitel.
2
Niedergang und Transition
Im Jahr 2019 feierte Deutschland das dreißigjährige Jubiläum der Friedlichen Revolution in der DDR mit der anschließenden Wiedervereinigung von ‚Ost‘ und ‚West‘. Am 09. November 1989 fiel die Berliner Mauer und markierte somit die „politische Stunde null, die ein Davor und ein Danach trennte“ (Mau 2019: 11). ‚Davor‘ zeichnete sich der Untergang der DDR bereits deutlich ab, während das ‚Danach‘ für viele Bürger:innen der DDR unkalkulierbar schien.
Zusammengefasst waren die
Missstände und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung der DDR ‚davor‘ auf den
politischen und vor allem den ökonomischen Zustand zurückzuführen, der eine
wesentliche Ursache für den Zusammenbruch der Republik darstellte (Schroeder & Buhr 2021: 83). Dies
beinhaltete unter anderem Funktionsdefizite, wie etwa die Unterbrechung von
Produktionswegen auf Grund von Lieferengpässen oder fehlender finanzieller
Unterstützung sowie Doppelbelastungen und die
mangelnde Versorgung mit Produktionsgütern (ebd.). Die Produktivität der
Planwirtschaft lag kurz vor dem Ende der DDR bei einem Drittel des Westniveaus und
der reale Einkommensrückstand betrug etwa
fünfzig Prozent, so Mau (2019:
114). Unter der Betrachtung der politischen Lage waren die ökonomischen
Strukturbrüche, verbunden mit der zunehmenden Deindustrialisierung und der
daraus resultierenden Massenarbeitslosigkeit in der DDR, nur ein Teil des „Transformationsschock[s]“ (Schroeder
& Buhr 2021: 81).
Die durch Gorbatschow
eingeleiteten Reformen der politischen Ordnung in der UdSSR sollten „den Raum für die Entfaltung einer
politischen Öffentlichkeit“ (Schroeder
2004: o.S.) schaffen. Doch stattdessen stellte die Öffnung der Gesellschaft die
politische Stabilität der Ostblockstaaten in Frage, woraufhin die Sowjetunion
ihre Rolle als „Schutzmacht“ (Mau 2019: 117) überdenken und neu
definieren musste. Diese Umwälzungen der Sowjetunion erfassten das gesamte
Mitteleuropa und somit auch die Deutsche Demokratische Republik. Die daraus resultierenden
Oppositionsbewegungen nutzten die sich bietende Möglichkeit, Menschenrechte
sowie demokratische und marktwirtschaftliche Reformen einzufordern (Schroeder & Buhr 2021: 81). Diese
lehnte das SED-Regime der DDR jedoch gänzlich ab, woraufhin die Unzufriedenheit
im Land weiterhin stark zunahm.
Dieser Zusammenhang führte in
den Ostblockstaaten und vor allem in der DDR zur Manifestation einer immer
größer werdenden Unzufriedenheit „mit der
Performanz des Systems und damit auch indirekt [in] die politische
Legitimationskrise“ (Schroeder &
Buhr 2021: 83). Hinzu kam der Vorwurf aus der Bevölkerung, dass die
Kommunalwahlen 1989 in der DDR offensichtlich gefälscht gewesen seien (ebd.: 81).
Mau (2019: 117) ergänzt hierzu,
dass die Kritiken vorrangig oberflächliche Aspekte des Systems ansprachen - zugleich
„rüttelten [diese] aber […] an seinem Fundament“. Bevor im Herbst 1989 die Protestbewegungen
begannen, die als „spontane Revolution“
(ebd.) beschrieben werden, kam es bereits im Frühjahr 1989 zu ersten
friedlichen Demonstrationen in Leipzig. Diese fanden jeden Montag im Anschluss
an die Friedensgebete in der Nikolaikirche statt (Schroeder & Buhr 2021: 81). Da das Regime
zurückhaltender reagierte, wurden die persönlichen Risiken ebenfalls immer
niedriger. Dies sorgte letztendlich dafür, dass der Widerstand nicht nur im Familien-
und Bekanntenkreis an Bedeutung gewann, sondern zunehmend auch im
Befehlsregime. Laut Mau (2019:
118) verwandelte sich „eine steingraue Manövriermasse
in handlungsfähige Subjekte“, sodass nun der Dialog anstelle des Befehls im
Vordergrund stand.
In einer langen Periode des
Niedergangs des Realsozialismus kam es nach Kollmorgen
(2005: 22) zur Unterhöhlung der institutionellen Grundlagen des Systems sowie
zum Verbrauch seiner Legitimationsressourcen. Folglich strebten weite Teile der
Bevölkerung und der Gegen-Eliten eine dem ‚Westen‘ angelehnte moderne
Institutionenordnung an (ebd.). Diese Phase beschreiben Schroeder und Buhr
(2021: 87) als „Transition“, die
einen Übergang von dem bisher bestehenden System in ein Neues kennzeichnet. Dieser
Übergang ist durch spontane und teilweise unkoordinierte Handlungen geprägt,
die nicht selten in Konflikten zwischen den Akteuren endeten. Auf Deutschland
bezogen bedeutet dies, dass zunächst die unmittelbare politische Machtübernahme
durch neue Eliten stattfinden musste (Kollmorgen
2005: 22). Diese Initiierungsphase führte zunächst zur Gründung der ‚Runden
Tische‘ Ende 1989, die „einen weiter
friedlichen Übergang zu einem (neuen) reformierten System ausarbeiten sollten“
(Schroeder & Buhr 2021: 82). Die
große Frage die hierbei im Raum stand: Soll die Einheit Deutschland angestrebt
werden, oder soll die Zweistaatlichkeit beibehalten werden?
Am 18. März 1990 fand die erste freie Wahl zur Volkskammer statt, die die Zukunft von Deutschland verändern sollte. Hierbei konnten die Bürger:innen der DDR über die nun folgende politische Ausrichtung ihres Landes abstimmen, woraufhin das Wahlbündnis ‚Allianz für Deutschland‘ die Mehrheit gewann (ebd.). Folglich wurde der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR am 31. August 1990 unterzeichnet. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 03. Oktober 1990 nach Artikel 23 GG war die Phase des Institutionentransfers abgeschlossen (Schroeder & Buhr 2021: 88). Dieser Prozess beendete die Transitionsphase und leitete die Phase der Institutionalisierung, die Transformationsphase, ein (ebd.).
3
Postsozialistische
Transformation
Das ‚Danach‘ wurde in den
Ostblockstaaten nicht nur als sich heranbahnende Transformationswelle
verstanden. Vielmehr wurde es als „Epochenumbruch
begriffen, der mit dem Ende des europäischen Kommunismus auch das Zeitalter der
Systemkonkurrenz von demokratischem Wohlfahrtskapitalismus und
Staats-sozialismus abschließen würde“ (Kollmorgen
2015: 421). Konkret bedeutet dies, dass hier ein Übergang von ehemals
kommunistischen oder sozialistischen Systemen hin zu marktwirtschaftlich-liberalen
Demokratien entsteht.
Insbesondere in
Ostmitteleuropa können nach Kornai
(2008: 9f) sechs Eigenschaften der postsozialistischen Transformation beschrieben
werden. Zum einen verlaufen die Veränderungen vorrangig in Richtung einer ‚westlichen
Zivilisation‘. Dazu zählt zweitens, dass sich Gesellschaften wirtschaftlich
kapitalistisch und politisch demokratisch orientieren. Hier ist zu betonen,
dass die (freie) Marktwirtschaft „generell
eines der wichtigsten Ziele der postsozialistischen Transformation [ist]“ (Kollmorgen
et al. 2015: 21). Die demokratischen Ziele seien diesbezüglich
allerdings weniger eindeutig (ebd.). Weiterhin verläuft die Transformation nach
Kornai (2008: 9f) parallel in
allen Gesellschaftsbereichen. Hierunter versteht er die Wirtschaft, die
politische und rechtliche Struktur sowie die sozialen Schichtungen. Viertens verläuft die Transformation größtenteils
gewaltfrei und findet fünftens unter friedlichen Umständen statt. Das bedeutet,
dass dem Transformationsprozess kein Krieg vorausgeht und er auch nicht von
außen aufgezwungen wurde. Zuletzt erfolgte die
Transformation unter der Betrachtung, dass der Prozess bereits abgeschlossen
ist, innerhalb eines Zeitrahmens von 10 bis 15
Jahren.
So wie jede Theorie ist auch
diese kritisch zu betrachten. Denn während sich beispielsweise Ungarn nach dem
‚Westen‘ orientierte, wendeten sich Albanien oder auch Kasachstan weitgehend
von den demokratischen Zielen der Transformation ab (Kollmorgen 2005: 20). Die Unterscheidung zwischen den
Prozessen in Mittelosteuropa, Osteuropa und Asien ist aus diesem Grund zwingend
zu beachten. Folglich ist es fraglich, inwieweit die postsozialistischen
Transformationsprozesse und Resultate in einem Typen zusammengefasst werden
können. Gerade die Transformationsprozesse in Osteuropa wurden durch die „dominant autoritären, teils sogar feudalen
Strukturen des Vorsozialismus“ (Kollmorgen
2005: 35) erschwert und beinahe unmöglich gemacht.
Weiterhin wurden vor allem
im ‚Osten‘ vielfach umstrittene modernisierungs-theoretische Ansätze
herangezogen und diese mit den Prozessen der Transformation gleichgesetzt. Mau (2019: 137f) gibt hierzu an, dass
sich die Transformation in den postsozialistischen Gesellschaften laut der
Theorie in Richtung des westlichen Modells entwickle. Dieser Prozess sollte
weitgehend unter der Prämisse der „Rückkehr
nach Europa“ (Kollmorgen 2005:
21) verlaufen. Vor diesem Hintergrund wurden dem ‚Osten‘ Modernisierungsdefizite
vorgeworfen, die sich nicht nur auf die Politik oder Institutionen bezogen,
sondern ebenfalls auf die Kompetenzen, Mentalitäten und persönlichen
Einstellungen der Bürger:innen (Mau
2019: 138). Der ‚Osten‘ wurde zunehmend als Nachzügler verstanden, während der
‚Westen‘ als Vorreiter und als eine normative und überlegene Gesellschaft dargestellt
wurde (ebd.).
Da die postsozialistische
Transformation mehrfach in den Kontext von westlicher Modernisierung gestellt
wird, unterstreicht Kollmorgen
(2005: 21), dass die „autochthonen
Handlungsorientierungen wichtiger sozialer Gruppen, [die] expliziten westorientierten
Modernisierungsstrategien der einheimischen Eliten (und internationaler
Akteure), […] [sowie die] Einbindung
in westlich dominierte ‚Weltsysteme‘“ gerechtfertigt und notwendig seien.
Trotzdem betont er explizit, dass sich diese Prozesse und Kontextualisierung „sozialwissenschaftlich [nicht] hinreichend als Modernisierungen begreifen
lassen“ (ebd.). Zudem fügt Mau
(2019: 142) an, dass vor allem die modernisierungstheoretische Leseart der
Transformation nicht unwidersprochen bleiben solle. Hierbei spricht er unter
anderem den Ausschluss jeglicher individuellen Entwicklung und Neuerfindung an.
Aus diesem Grund können postsozialistische Gesellschaftstransformationen nicht
nur als „westorientierte Modernisierungen“
(Kollmorgen 2005: 39) verstanden
werden.
Es ist allerdings auch zu
einfach gedacht, diese Transformationsprozesse einzig als Transitionen, also
als einen Übergang von einem bereits bestehenden in ein neues
gesellschaftliches System, zu beschreiben
(ebd.). Vielmehr ist eine Transformationsstruktur erkennbar, bei der
eine Periode des Niedergangs, in diesem Fall der Niedergang des
Realsozialismus, in der Periode der Transition ab 1988/89 mündet. In diesem
Zeitraum wurden zwar die westlichen zentralstaatlich-demokratischen und
politisch-ökonomischen Ziele übernommen und etabliert, den Abschluss der
Transformation bedeutet dieser Prozess allerdings nicht (Kollmorgen 2005: 34). Im Gegenteil: an
die Transition anschließend folgt die Strukturierungsperiode, bei der sich die
zwangsweise aufkommenden Transformationsprobleme entfalten und der Umbau des
Systems gerechtfertigt werden muss (vgl. ebd.).
Ähnlich verhält es sich in
Ostdeutschland, das heißt der ehemaligen DDR. Die BRD hatte nach dem zweiten
Weltkrieg „einen Weg in die Demokratie gefunden,
so dass anzunehmen war, dass dies mit der Inkorporation der DDR […] auf ähnliche Weise gelingen würde“ (Mau 2019: 143).
4 Transformation in Ostdeutschland
Mit dem Beitritt der neuen
Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland am 03. Oktober 1990 gemäß Artikel
23 GG hat sich die „Deutsche
Demokratische Republik selbst ausradiert und so einen Weg in die Vergangenheit
versperrt“ (Mau 2019: 133). Mit
dieser Entscheidung war der Transfer von Föderalismus und Kapitalismus
verfassungsrechtlich geregelt (Holtmann
2009: o.S.). Die Entwicklungen, die Deutschland und vor allem die DDR ab den 1980er
Jahren geprägt haben, gehören zum gleichen transformatorischen Subtypen wie den
der ostmitteleuropäischen Fallgruppe, so wie es bereits in Kapitel 2 beschrieben
wurde (Enders et al. 2021: 25).
Dennoch beschreiben Enders et al. (2021: 25) drei Anomalien
des ostdeutschen Falls gegenüber der restlichen ostmitteleuropäischen
Umbruchszone. Zum einen fand der postkommunistische Umbruch in der DDR bereits
ab Frühjahr 1990 statt: und zwar unter der Prämisse der deutsch-deutschen
Wiedervereinigung. Zum anderen galt die ‚Rückkehr nach Europa‘ bereits am 03.
Oktober 1990 als beendet (ebd.: 26), wohingegen der Prozess in den anderen
Staaten meist länger als 10 Jahre andauerte (Kornai
2008: 10). Begonnen hatte der Prozess in Ostdeutschland mit der Wirtschafts-,
Währungs- und Sozialunion am 01. Juli 1990. In diesem Fall vollzog sich der
Vereinigungsprozess mitsamt des Institutionen- und Finanztransfers von West
nach Ost zuletzt in einer Geschwindigkeit, die sich „drastisch von allen anderen postsozialistischen Fällen unterscheidet“
(Enders et al. 2021: 26).
Insbesondere die
Geschwindigkeit und der Institutionentransfer, also die gesamte Übernahme der
rechtlichen und politischen Basisinstitutionen nach dem Vorbild der alten
Bundesländer, schloss das Einbringen eigener Interessen gänzlich aus (Kollmorgen 2005: 61). Mau (2019: 134) beschreibt dies als „Verlust der Option, gemeinsam einen
gesellschaftlichen Entwicklungspfad auszuhandeln“. Dieser „Verlust der Option“ aus Sicht der der
ehemaligen DDR und ihrer Bürger:innen erweckte ein Gefühl des ‚Überrollt-werdens‘
und damit verbunden gab es zunehmende Vorbehalte gegenüber dem Einigungsprozess
(ebd.: 136). Rustow (1999: 28)
beschreibt in diesem Zusammenhang, dass es schwer sei, eine eigene Demokratie
in dem Land zu etablieren, wenn Verfassungsrechte oder parlamentarische
Praktiken einer bereits bestehenden Demokratie einfach kopiert würden. Stattdessen
müsse es sich seinen spezifischen Konflikten stellen und wirksame Verfahren für
deren Bewältigung entwickeln. Besonders mit Blick auf das Beispiel der
Wiedervereinigung wurde das Vorgehen im Einigungsprozess in der Bevölkerung der
ehemaligen DDR zunehmend hinterfragt. Mau
(2019: 134) beschreibt die Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang als eine
Art „Kopiervorgang“.
Im Vordergrund der Marktschaffung
stand hierbei die Sanierung der ehemaligen DDR-Industrie. Vielmehr beinhalteten
diese Vorgänge die Zerstörung der bereits bestehenden Strukturen bis hin zum
Verkauf von über 14.000 Betrieben durch die Treuhandanstalt (ebd.: 150). Schon
bis Mitte der 1990er Jahre war „gut ein
Drittel aus dem Erwerbsleben durch Arbeitslosigkeit, durch Ruhe- und
Vorruhestand ausgeschieden“ (Kollmorgen
2005: 123). In den Folgejahren stieg die Arbeitslosenquote in ganz
Ostdeutschland auf Höchstwerte von über 20 %, wobei vor allem Frauen stärker
betroffen waren als die Männer (Mau
2019: 153). Auf sozialer Ebene zählten und zählen zu den Folgeproblemen vor
allem Kontaktverluste, zusammenbrechende soziale Netzwerke und
Selbstwerteinbußen (ebd.: 155). Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die
Wiedervereinigung besonders in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung negativ
betrachtet wurde.
Vielfach kam der Vorwurf hinzu,
Westdeutschland hätte den ‚Osten‘ im Stil der Kolonialisierung erobert und ihn
sich einverleibt (Mau 2019: 136, Kollmorgen 2005: 59). Dieser Vorwurf
stützte sich nach Mau (2019: 136)
auf vier zentrale Thesen. Diese sind zusammengefasst der Verlust der
politischen Handlungsfähigkeit der Ostdeutschen zum einen in Kombination mit
der wirtschaftlichen Dominanz des ‚Westens‘ sowie der Auflösung der
soziokulturellen Traditionsbestände des ‚Ostens‘ zum anderen. All diese Punkte
sind zuletzt auf den kompletten Transfer von Institutionen und Politik
zurückzuführen, der wie ein „Korsett
übergestülpt“ (ebd.) wurde, ohne dass den ehemaligen DDR-Bürger:innen das
Recht auf Mitsprache zuteilwurde. Gerade dieser Zusammenhang mit der „Kolonialisierung des Ostens“ (Kollmorgen 2005: 59) ist heutzutage sehr
umstritten. Der Begriff der Kolonialisierung bezieht sich in der Geschichte auf
die Eroberung und Ausbeutung überseeischer Gebiete im Zeitraum zwischen dem 15.
und dem 20. Jahrhundert (Tetzlaff
2023: 79). Darüber hinaus ist der Kolonialismus eine Herrschaftsform „eines sich als ‚überlegen‘ empfindenden Landes
gegenüber einem anderen Volk, das unterdrückt und dessen Land den ökonomischen
und politischen Zwecken des Mutterlandes untergeordnet und ausgebeutet wird“
(ebd.: 87). Das Ziel der Wiedervereinigung war die Gleichstellung von ‚Ost‘ und
‚West‘ und nicht die dauerhafte Unterdrückung und Ausbeutung des ‚Ostens‘. Dass
es Probleme und Unstimmigkeiten im Vereinigungsprozess gab, ist nicht von der Hand
zu weisen. Dennoch ist die Gleichsetzung der Wiedervereinigung mit dem Kontext
der Kolonialisierung problematisch, da so die Realität und die Ereignisse
verzerrt werden.
5 Fazit
Die
Transformation in Bezug auf Ostdeutschland beschreibt zusammenfassend einen
tiefgreifenden und umfassenden Wandel in den Bereichen Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft. Geprägt war und ist dieser Prozess durch den Übergang von einem
sozialistischen System hin zu einem marktwirtschaftlichen, demokratischen
Modell nach dem Vorbild des ‚Westens‘. Hierbei wurden die politischen und
rechtlichen Institutionen der alten Bundesländer nahezu vollständig auf die
Neuen übertragen.
Die
schnelle und umfassende Einführung der westlichen Strukturen war das zentrale
Merkmal der Transitionsperiode, welche von den Bürger:innen der ehemaligen DDR
oft als abrupt und überwältigend empfunden wurde. Der Übergang dauerte nach der
Einführung keine vier Monate, da die Wiedervereinigung nach der Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion
am 01. Juli 1990 bereits am 03. Oktober 1990 mit dem Beitritt der DDR zur BRD
abgeschlossen war. Daraus resultierten
nachträglich Probleme, die im Laufe der Transformation deutlich werden sollten.
Insbesondere die fehlende Bereitschaft, die Bürger:innen der DDR an der
Ausgestaltung des neuen Systems beteiligen zu lassen, löste in der Bevölkerung
ein Gefühl des ‚Überrollt-werdens‘ aus. Nicht zuletzt führte das Handeln zu
erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, darunter
Deindustrialisierung, hohe Arbeitslosigkeit und soziale Entfremdung, die in
Teilen bis heute anhalten.
Im Rahmen des Geographie-Moduls GEOG 226 "Globalisierung" befasste sich Jolina Störmer mit der postsozialistischen Transformation nach dem Mauerfall in Ostdeutschland.
Literaturverzeichnis
Enders, J. C., R. Kollmorgen & I.-S. Kowalczuk (2021): Gesellschaftsformation als
sozialer Wandlungstyp, Postsozialismus und (ost-)deutscher Fall. In: Enders, J. C., R. Kollmorgen & I.-S.
Kowalczuk (Hrsg.): Deutschland ist
eins: vieles. Bilanz und Perspektiven von Transformation und Vereinigung.
Frankfurt am Main: Campus, S. 25-26.
Holtmann, E. (2009):
Deutschland seit 1990. Signaturen des Übergangs – Bundeszentrale für politische
Bildung, Bonn. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/31865/signaturen-des-uebergangs/.
Zugriff am 12.08.2024.
Kollmorgen, R.
(2005): Ostdeutschland. Beobachtungen
einer Übergangs- und Teilgesellschaft. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Kollmorgen, R.
(2015): Postsozialistische Transformationen des 20. und 21. Jahrhunderts. In: Kollmorgen, R., W. Merkel & H.-J. Wagener
(Hrsg.): Handbuch
Transformationsforschung. Wiesbaden: Springer, S. 421.
Kollmorgen, R., W. Merkel & H.-J. Wagener (2015): Transformation und
Transformationsforschung: Zur Einführung. In: Kollmorgen,
R., W. Merkel & H.-J. Wagener (Hrsg.): Handbuch Transformationsforschung. Wiesbaden:
Springer, S. 21.
Kornai, J.
(2008): The Great Transformation of Central Eastern Europe: Success and
Disappointment. In: Kornai, J., L. Matyas
& G. Roland (Eds.): Institutional
Change and Economic Behaviour. London:
Palgrave Macmillan, p. 9-10.
Mau, S.
(2019): Lütten Klein. Leben in der
deutschen demokratischen Transformationsgesellschaft. Bonn:
Suhrkamp.
Rustow, D. A.
(1999): Transitions to Democracy: Toward a Dynamic Model. In: Anderson, L. (Ed.): Transitions to Democracy. New York: Columbia University Press, p.
28.
Schroeder, H.-H. (2004): Vom Kiewer Reich bis zum Zerfall der UdSSR. In: Informationen zur politischen Bildung, Heft Nr. 281, S. 8. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/russland-281/#content-index. Zugriff am 15.08.2024.
Schroeder, W. & D. Buhr (2021): 30 Jahre Transformation und Vereinigung
–Forschungsstand, gesellschaftliche Problemlagen, Gestaltungsperspektiven. In: Enders, J. C., R. Kollmorgen & I.-S.
Kowalczuk (Hrsg.): Deutschland ist
eins: vieles. Bilanz und Perspektiven von Transformation und Vereinigung.
Frankfurt am Main: Campus, S. 81-88.
Tetzlaff, R.
(20232): Afrika. Eine
Einführung in Geschichte, Politik und Gesellschaft. Wiesbaden: Springer.