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Beitrag II: Ein Bericht über die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise in Ecuador (Ale Breuer)

Blick auf Quito (Foto: Ale Breuer)

Die Welt in Zeiten einer globalen Pandemie. Seit einigen Wochen erleben wir auch in Deutschland, was es bedeutet, durch den Quarantäneaufruf weitgehend zuhause zu bleiben. Was es bedeutet, wenn Einkommen und Arbeitsplatz unsicher werden und Sozialkontakte stark eingeschränkt sind. Die Nachrichten, die zuerst aus China, dann auch aus dem Iran und Italien zu uns herüber schwappten, beschreiben immer mehr auch unsere Realität.
Ich habe Menschen sagen hören, dieses Virus sei seit langem die erste Bedrohung, die alle Menschen weltweit gleichermaßen betreffe. Corona mache immerhin vor niemandem halt und jeder könne sich anstecken.
Das ist grundsätzlich richtig, lässt aber viele, wenn nicht die meisten Ebenen, auf denen diese Krise Einfluss nimmt, völlig außer Acht. Was dabei nämlich vergessen wird ist, dass die Ungleichheiten, die schon zuvor allzu allgegenwärtig in der Welt waren, durch die Krise nicht verschwinden. Ganz im Gegenteil: Sie werden deutlicher spürbar, in Zeiten, in denen jedes Land erstmal die Grenzen schließt und sich mit den eigenen Mitteln um die eigene Bevölkerung sorgt.
Es geht nicht darum, einen Wettbewerb daraus zu machen, wer schlechter dran ist oder wer mehr unter den Auswirkungen von Corona zu leiden hat. Es geht auch nicht darum, jemandem das Recht abzusprechen, mitzuteilen, dass die gegenwärtige Situation für ihn schwierig ist.
Aber es geht durchaus darum, auch weiterhin über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und sich den Vorgängen in anderen Teilen der Welt nicht zu verschließen. Wir leben in einer globalisierten Welt - einer der Gründe, warum Corona sich so schnell ausbreiten konnte- und diese Tatsache führt den Glauben sich abschotten zu können ad absurdum.
Wenn ich von globalen Ungleichheiten spreche, die in diesen Zeiten besonders stark zum Ausdruck kommen, dann ist die Rede von Unterschieden und Ungleichheiten in den politischen Ordnungen, den wirtschaftlichen Ressourcen und nicht zuletzt den Gesundheitssystemen, die unterschiedlich gut etwaigen Belastungen gewappnet sind.
Eines der Länder, die den Folgen der weltweiten Pandemie schutzloser ausgeliefert als beispielsweise Deutschland ausgeliefert zu sein scheint, ist Ecuador. Das kleine Land im Nordwesten Südamerikas mit gut 16 Millionen Einwohner*innen, verzeichnet bisher 3.747 Infizierte und 191 Todesfälle (Stand: 08.04.2020, Ministerio de Salud Ecuador). Es ist damit nach Brasilien das am stärksten von der Pandemie betroffene Land Südamerikas. Anders als einige andere Regierungen, erkannte Ecuador den Ernst der Lage allerdings schnell und nahm die Situation ernst.
Am 11. März 2020 wurde der medizinische Notstand ausgerufen. Es dürfte den Verantwortlichen und auch der breiten Masse der Bevölkerung schnell klar gewesen sein, dass das ecuadorianische Gesundheitssystem der drohenden stark wachsenden Belastung durch die Atemwegserkrankung nicht lange würde standhalten können. Genau wie in Deutschland war das oberste Ziel so, schnell die Ausbreitung zu verlangsamen.
Relativ zeitgleich mit vielen anderen Ländern verkündete Ecuador demnach am 15. März die sofortige Schließung der nationalen Grenzen. Aus anderen Ländern einreisenden Menschen war schon einige Tage zuvor eine vierzehntägige Quarantänepflicht auferlegt worden, aber auch damit sollte nun Schluss sein. Durch das Schließen der Grenzen wurde endgültig, was schon in den Tagen und Wochen zuvor in der Luft lag. Das Tourismusgeschäft lief schlecht, Menschen, die in der Branche tätig sind, beklagten schon zuvor weniger Gäste. Als die Grenzen schlossen und einen Tag später auch der nationale Reiseverkehr zum Erliegen kam, weil keine Busse mehr die Provinzgrenzen passieren durften, wurde die Sorge konkret.
In Ecuador waren im Jahr 2018 463.000 Menschen in der Gastronomie beschäftigt. Mehr als 1,878 Millionen US-Dollar wurden direkt durch den Tourismus erwirtschaftet und 2,9% des Bruttoinlandprodukts kamen durch die Tourismusbranche zustande. Die Tendenz ist steigend. Dem Land und der Bevölkerung gehen durch die gegenwärtige Situation wichtige Einnahmen verloren.
Die Ministerin für Tourismus, Rosi Prado de Holguín, gab bekannt, dass an Maßnahmen zur Wiederbelebung der Tourismusbranche für die Zeit nach der Krise gearbeitet werde. Viel mehr als die Ankündigungen, man würde weiterhin nach (ausländischen) Investor*innen suchen und die Aufforderung an die ecuadorianische Bevölkerung so bald möglich wieder selbst im Land zu reisen, ist dabei aber wohl noch nicht entstanden, wie es sich aus Berichten des Ministeriums schließen lässt. Wie wahrscheinlich das Eintreffen beider Bestrebungen ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Zu bedenken ist, dass sich die Tourismusbranche international momentan auf deutliche Rückgänge gefasst macht.
Auch in anderen Wirtschaftssektoren macht man sich Gedanken. Seit das Leben auf den Straßen seit Etablierung der Quarantäne am 16. März zunächst nur mit nächtlicher Ausgangssperre, seit 25.März mit Ausgangssperre von 14 Uhr bis 5 Uhr, fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, fallen die Arbeitsplätze zahlreicher Dienstleister*innen auf der Straße weg. Händler*innen die normalerweise täglich ihre Waren auf den Märkten und Straßen der Städte anbieten und so ihren täglichen Lebensunterhalt verdienen, ist dies nun nicht mehr möglich.
Ein Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkungen, zum Beispiel der Missbrauch von staatlich ausgestellten Passierscheinen, ohne die sich kein Auto mehr auf den Straßen bewegen darf, kann in der Hauptstadt Quito mit mehreren Jahren Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe von 6000 US-$ geahndet werden, berichtete die Tageszeitung El Comercio.
Die Regierung reagierte auf das Einbrechen der Wirtschaft und beantragte einen Kredit bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB). Der Kredit wurde bewilligt, das Wirtschafts- und Finanzministerium koordiniert nun die Verwendung und Verteilung. Präsident Lenin Moreno kündigte die Schaffung eines Hilfspakets an, das derzeit laut Angaben der Zeitung La Hora 400.000 Familien (zumeist wohl Kleinfamilien, gerechnet mit ca. vier Personen) erreicht und in Zukunft noch weiteren 550.000 Personen mehr zu Gute kommen soll. Familien deren Einkommen normalerweise unter 400 US-$ monatlich liegt und denen durch die derzeitigen Beschränkungen kein Einkommen mehr zur Verfügung steht, sollen eine Finanzhilfe von 60 US-$ erhalten.

Sicht auf den sonst so lebhaften Park »El Ejido« im Zentrum der Hauptstadt Quito. (Foto: Paúl Pullupaxi)

Es ist eine schwache Finanzhilfe, und das für längst nicht alle Menschen, die darauf angewiesen wären. Es ist offensichtlich, dass das Land eine derartige Einschränkung des öffentlichen Lebens wirtschaftlich nicht mehr lange durchhalten kann, ohne sich weiter drastisch zu verschulden. Und auch diese Option hängt zurzeit wohl am seidenen Faden, wenn man die internationale Börsensituation und die sinkende Wirtschaftsleistung weltweit bedenkt.
Gleichzeitig bewahrheiten sich die Befürchtungen vom Beginn der Krise auch in Bezug auf die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems. Viele Krankenhäuser sind schon jetzt überlastet und es kann nicht umfassend auf Covid-19 getestet werden, weswegen von einer hohen Dunkelziffer Infizierter ausgegangen werden muss.
Aus der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes, Guayaquil, dem Epizentrum der Pandemie in Ecuador, erreichen alarmierende Bilder die Welt: Immer mehr Leichen, von an der Atemwegserkrankung verstorbenen Guayaquileños werden von den Angehörigen aus den Häusern auf die Straßen gebracht. Sie können nicht alle rechtzeitig abgeholt werden. Der Verwesungsgeruch wird in der Hitze, die momentan in der Hafenstadt herrscht, schnell unerträglich. Seit dem 23. März erklärt ein staatliches Dekret die Stadt Guayaquil mitsamt der gesamten Provinz, in der sie liegt, zur „speziellen Sicherheitszone“. Das Gebiet befindet sich unter militärischer Kontrolle.
Es ist eine Dilemma-Situation. Strikte Ausgangsbeschränkungen sind aus medizinischer Sicht wahrscheinlich das einzig Vernünftige, um so wenig Erkrankungen wie möglich zu verzeichnen, die man durch mangelhafte Bedingungen nicht ausreichend behandeln könnte. Gleichzeitig würden viele Menschen eine weiterhin verlängerte Quarantäne bzw. Ausgangssperre auf die Dauer finanziell nicht überstehen. Politisch würde sich die Situation anspannen.
Schon jetzt gibt es Berichte laut denen Lebensmittel an einigen Orten immer teurer werden. Gerade ländlichere Regionen dürften davon stark betroffen sein, weil es in vielen Orten keinen direkten Zugang zu größeren Supermärkten gibt. Längst nicht jede*r dort besitzt eigenes Land und kann sich so selbst versorgen. Die kleinen Läden, in denen sich sonst mit Nahrungsmitteln versorgt wird, scheinen mit Engpässen zu kämpfen haben.
Die Szenarien vor denen in Deutschland gerade einige Menschen Angst haben, sind in so einigen Ländern bereits Wirklichkeit. Die Auswirkungen von seit Jahrhunderten währender globaler Ungerechtigkeit, kommen nun kondensiert und mit aller Wucht stärker als sonst zum Vorschein.
In den Tagesthemen im deutschen Fernsehen wurde vor einigen Tagen mit einem Blick auf unseren Planeten als Ganzes in die Berichterstattung eingestiegen. Die ganze Welt ist von den Wirkungen der Covid-Pandemie betroffen. Die Frage steht im Raum, wie die Weltgemeinschaft aus der Krisenzeit heraus treten wird. Zwar stimmt es, dass die ganze Welt betroffen ist – aber die Auswirkungen führen aufgrund der globalen Ungleichheiten lokal doch zu ganz unterschiedlichen Betroffenheiten.
Es ist nicht hilfreich Horrorvisionen zu zeichnen und damit Panik zu verbreiten. Aber der Frage, ob wir dem Problem als solidarische Weltgemeinschaft begegnen wollen oder mit der Konsequenz leben werden müssen, dass ein Reisepass Macht über Leben und Tod besitzen wird und besitzt, sollten wir uns stellen.

von Ale Breuer, Studentin der Humangeographie und Politikwissenschaft


Literatur:
CIA World Factbook: Online unter: https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ec.html [letzter Zugriff: 08.04.2020]
 “COE Nacional confirma 111 casos de covid-19 en Ecuador; Guayas con el mayor número de pacientes”, In: El Comercio, 17.03.2020, Online unter: https://www.elcomercio.com/actualidad/emergencia-sanitaria-coe-covid19-contagios.html [letzter Zugriff: 08.04.2020]
 “Bonos de $ 60 por el coronavirus: Requisitos para ser beneficiado y cómo cobrar la ayuda social del Gobierno”, In: El Universo, 23.03.2020,  Online unter: https://www.eluniverso.com/noticias/2020/03/12/nota/7778376/coronavirus-ecuador-viaje-restriccion-vuelos-pasajeros-aeropuertos [letzter Zugriff: 08.04.2020]
 “Las medidas que toma Ecuador, en emergencia sanitaria por coronavirus: cuarentena de pasajeros internacionales, suspensión de clases y eventos masivos”, In: El Universo, 29.03.2020, Online unter: https://www.eluniverso.com/noticias/2020/03/12/nota/7778376/coronavirus-ecuador-viaje-restriccion-vuelos-pasajeros-aeropuertos [letzter Zugriff: 08.04.2020]
Alban, Alfonso: “Coronavirus: Una factura que aguardará al Gobierno para luego de la crisis”, In: expreso, 04.04.2020, Online unter: https://www.expreso.ec/actualidad/coronavirus-factura-aguardara-gobierno-luego-crisis-8573.html [letzter Zugriff: 08.04.2020]
 “El Bono de Protección Familiar se ampliaría a 550.000 personas más”, In: La Hora, o.D., Online unter: https://lahora.com.ec/noticia/1102315254/el-bono-de-proteccion-familiar-se-ampliaria-a-550000-personas-mas [letzter Zugriff: 08.04.2020]
Ministerio de Economía y Finanzas: Online unter: https://www.finanzas.gob.ec/ [letzter Zugriff: 08.04.2020]
“Actualicazión de casos de coronavirus en Ecuador”, in: Ministerio de Salud Publica Ecuador, o.D., Online unter: https://www.salud.gob.ec/actualizacion-de-casos-de-coronavirus-en-ecuador/ [letzter Zugriff: 08.04.2020]
„El turismo ecuatoriano crecio un 11% en 2018“, In: Ministerio de Turismo Ecuador, o.D.,
Online unter: https://www.turismo.gob.ec/el-turismo-ecuatoriano-crecio-un-11-en-2018/ [letzter Zugriff: 08.04.2020]
“Turismo en cifras”, In: Ministerio de Turismo Ecuador, o.D., Online unter: https://servicios.turismo.gob.ec/turismo-cifras [letzter Zugriff: 08.04.2020]
„Esta es la lista acutalizada de los paises con coronavirus“, In: National Geographic Español”o.D.,
Online unter: https://www.ngenespanol.com/el-mundo/esta-es-la-lista-actualizada-de-los-paises-con-coronavirus/  [letzter Zugriff: 08.04.2020]



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