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Beitrag V: Chemtrails of a conspiracy geography – Verschwörungsplattformen als Thema der Geographie? (Marlene Hobbs)

Foto: baghee58 via Wunderstock (license)

Mit dem Anstieg der Sichtbarkeit von Verschwörungserzählungen und ihrer medialen Inszenierung im Zuge der Corona-Pandemie stellt sich die Frage nach der Rolle einer Geographie, die kritisch auf derartige gesellschaftliche Phänomene schaut.

Aktuell bilden Verschwörungstheorien und Argumentationen gegen sie einen beachtlichen Teil des Diskurses um die COVID-19-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung (Schröder 2020). Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen ist zwar nichts Neues. Zudem gibt es jeweils deutliche Unterschiede in ihrer Gefährlichkeit und Nutzbarmachung durch die extreme Rechte (Peitz 2020). Jedoch besteht die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Bedeutung vor allem aufgrund der Aspekte, die mit Verschwörungstheorien häufig transportiert und befördert werden: Antisemitismus, Antifeminismus, Rassismus, Männlichkeitsphantasien und Wissenschaftsfeindlichkeit.

Wie kann eine Auseinandersetzung mit diesen Themen und ihren Verknüpfungen untereinander aus räumlicher Perspektive aussehen? Hier bietet sich an, die Plattformen in den Blick zu nehmen, auf welchen sich Anhänger_innen und Gegner_innen derart kruder Theorien und Falschmeldungen treffen. Neben den derzeit viel diskutierten sogenannten Corona-, Hygiene- oder Freiheits-Demonstrationen, auf denen sich Verschwörungserzählungen mit rechten Positionen mischen (Schröder 2020; Warzel 2020), sind Social Media ein essentieller Ort der Verbreitung rechtsextremistischen wie verschwörungstheoretischen Gedankenguts (Grumke 2017; Oboler 2008). Mit der Bezeichnung Antisemitismus 2.0 (Oboler 2008) wird dahingehend auf eine beschleunigte Streuung antisemitischer Inhalte sowie auf eine intensivierte "Radikalisierung der Antisemitismen" (Schwarz-Friesel 2019: 386) hingewiesen.

Im Sinne einer Geographie des Digitalen stellen Social Media bereits Untersuchungsgegenstand humangeographischer Forschung dar (Ash u. a. 2018; Leszczynski 2018). Agnieszka Leszczynski (2018) macht hierbei auf die Herausforderung aufmerksam, nicht allein Social Media per se in den Fokus zu rücken, sondern anhand von ihnen und durch sie mitgestalteter Prozesse und Daten Aussagen über gesellschaftliche Phänomene zu treffen.
Das Konzept der power geometries von Doreen Massey (1991) könnte dazu einen Analyserahmen bieten. Sie beschreibt darin globale places, als Kreuzungen vieler verschiedener sozialer, ökonomischer und ökologischer Beziehungen, die von Machtgefällen geprägt sind. Onlineplattformen und soziale Netzwerke als derartige places zu betrachten, könnte eine spannende Perspektive auf das Zusammenspiel verschiedener Verschwörungstheorien und der darin verwickelten Akteur_innen hervorheben. Hier stoßen die Wege – trails – der verschiedensten Mutmaßungen, Theorien und Handlungsanweisungen zusammen. Youtube, Twitter, Instagram und Co. würden so zu Untersuchungsräumen, die zwar digital stattfinden, jedoch direkte Berührungspunkte mit Orten des alltäglichen Lebens haben. Indem sie Videos von Demonstrationen oder Veranstaltungen übertragen, die dann auf dem einzelnen Endgerät oder im Wohnraum angeschaut werden und über die in Freundes- und Familienkreisen gesprochen wird, verschwimmen hierbei auch die Grenzen von privaten und öffentlichen Räumen. Daran schließt die Frage an, inwiefern Verschwörungstheorien bis in das Private eindringen und Alltagspraktiken bestimmen. Weitere Fragen nach der jeweiligen visuellen Inszenierung von Verschwörungserzählungen oder Ausformungen von "Widerstand" gegen staatliche Maßnahmen der Pandemie-Eindämmungen und ihre jeweiligen sozio-kulturellen Kontexte (zum Beispiel die Unterschiede zu bewaffneten Demonstrationen in den USA (Warzel 2020)) sind denkbar.

Onlineplattformen als globale places zu Untersuchungsräumen geographischer Forschung zu machen ist somit eine Möglichkeit, aktuelle Phänomene wie die zunehmende Sichtbarkeit von Verschwörungstheorien und rechten Positionen auch aus räumlicher Perspektive ernst zu nehmen.


Literatur

Ash, James / Kitchin, Rob / Leszczynski, Agnieszka (2018): Digital turn, digital geographies? In: Progress in Human Geography 42/1, 25–43.

Grumke, Thomas (2017): Rechtsextremismus in Deutschland. Begriff – Ideologie – Struktur. In: Glaser, Stefan, Pfeiffer, Thomas (Hrsg.): Erlebniswelt Rechtsextremismus: modern - subversiv - hasserfüllt: Hintergründe und Methoden für die Praxis der Prävention. Schwalbach/Ts: Wochenschau Verlag, 21–40.

Leszczynski, Agnieszka (2018): Digital methods I: Wicked tensions. In: Progress in Human Geography 42/3, 473–481.

Massey, Doreen (1991): A Global Sense of Place. In: Marxism Today 8/2, 24–29.

Oboler, Andre (2008): Online Antisemitism 2.0. „Social Antisemitism“ on the „Social Web“. Jerusalem Center for Public Affairs. Abrufbar unter: https://jcpa.org/article/online-antisemitism-2-0-social-antisemitism-on-the-social-web/ [letzter Zugriff 25.05.2020].

Peitz, Dirk (2020): Verschwörungstheorien: „Alles ist so, wie du denkst“. In: Die Zeit online. Abrufbar unter: https://www.zeit.de/kultur/2020-02/verschwoerungstheorien-michael-butter-hanau [letzter Zugriff 25.05.2020].

Schröder, Axel (2020): Falschmeldungen zu COVID-19 - Der Boom der Corona-Verschwörungstheorien. In: Deutschlandfunk online. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/falschmeldungen-zu-covid-19-der-boom-der-corona.724.de.html?dram:article_id=474810 [letzter Zugriff 25.05.2020].

Schwarz-Friesel, Monika (2019): Judenhass 2.0. Das Chamäleon Antisemitismus im digitalen Zeitalter. In: Heilbronn, Christian, Rabinovici, Doron, Sznaider, Natan (Hrsg.): Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte. Berlin: Suhrkamp, 385–417.

Warzel, Charlie (2020): Opinion | Protesting for the Freedom to Catch the Coronavirus. In: The New York Times online. Abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2020/04/19/opinion/coronavirus-trump-protests.html [letzter Zugriff 25.05.2020].

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