Beitrag VII: Einblicke in die Herausforderungen Ethnographisch-partizipatorischer Feldforschung in Bischkek und Osch (Kirgistan) [Barbara Meier]
In diesem Beitrag möchte ich eine der Herausforderungen meiner Feldforschung thematisieren, auf die ich während meines ersten Forschungsaufenthalts in Kirgistan gestoßen bin. Es ergaben sich immer wieder Situationen, die mir den Eindruck vermittelten, nur begrenzt Einfluss auf meine Forschung zu haben und ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich mit ihnen umgehen kann.
Meine Herangehensweise an ethnographische Feldforschung, die ich mit partizipativen Methoden (z. B. Kindon et al. 2010) ergänze, ist bewusst geprägt von einem Begegnen „auf Augenhöhe“. Entsprechend habe ich mir vor meiner Abreise viele Gedanken über Hierarchien im Forschungsprozess gemacht. Diese halfen mir teilweise, anderes kam aber auch ganz anders, als ich es mir vorher im Büro gedacht hatte.
Meine Zielgruppe in Kirgistan sind Studierende. Da es aus Jena einfacher zu organisieren war, wählte ich einen institutionellen Zugang zu den Studis – also über die Universitäten. Das hat Vorteile, etwa, dass ich auf diese Weise viele Studierende erreichen kann, aber auch Nachteile. Das Hochschulsystem in Kirgistan ist noch stark an das sowjetische angelehnt (z. B. DeYoung 2010), in dem Lehrpersonen große Autorität genießen – und zum Teil auch einfordern. Einen Zugang über Universitäten zu wählen, könnte mich in der Wahrnehmung Studierender als ebensolche Autoritätsperson framen. Erstaunlicherweise war dies weniger der Fall. Ich kann nicht sagen woran es genau liegt, an meinem Auftreten, meiner Kommunikationsweise, meinem nicht-muttersprachlichem Russisch oder einer Gemengelage verschiedener Faktoren. Dafür traten Hierarchien an anderen Stellen zutage, die ich nicht bedacht hatte. Innerhalb der Studierendengruppen mit denen ich Gespräche führte. Hier stellte sich die Frage: Intervenieren und so selbst eine autoritärere Position in der Gruppe einnehmen oder zuhören und das Gruppenverhalten beobachten und reflektieren? Ich entschied mich für die passive Lösung.
Es ist selbstverständlich, dass ich als Forscherin in einem derartigen Forschungssetting stark abhängig von und angewiesen auf meine Unterstützer:innen bin. Gerade für meinen ersten Forschungsaufenthalt war es ein großes Ziel, ein möglichst umfassendes persönliches Netzwerk zu etablieren. Hierfür nutzte ich das Schneeballprinzip, manche Kontakte waren sehr hilfreich und erschlossen mir viele neue Studierenden- oder Universitätskontakte, einige waren eher „Sackgassen“ in meinem Netzwerk. Ich habe versucht, mit allem bestmöglich zu arbeiten und umzugehen, war aber auch bestrebt nicht einseitig nur Nutzen aus dem Kontakt zu ziehen, sondern auch, wenn möglich und mit meinen Forschungsgrundsätzen vereinbar, etwas zurückzugeben: Veranstaltungen zu besuchen, mit Menschen Englisch oder Deutsch zu trainieren, etc.. Einerseits konnte ich die Entwicklungsrichtung meines Unterstützer:innen Netzwerkes nicht wirklich aktiv kontrollieren, andererseits hatte ich den Eindruck, dass es sich aber auch selbst reguliert über Faktoren wie persönliche Sympathien oder ähnliche Forschungsinteressen. Die Positionierungen und Zuschreibungen, die mir wiederum über dieses Netzwerk zugeschrieben wurden, lassen sich für mich nur bedingt wahrnehmen und reflektieren – sie sind die Brille mit der ich mein Feld betrachte. Einige Verzerrungen kann ich benennen, aber es gibt auch Faktoren, die unscharf bleiben werden, weshalb meine Ergebnisse aufgrund ihrer Situiertheit kritisch zu hinterfragen sind.
Zuletzt möchte ich noch eine Situation schildern, die mir
sehr deutlich machte, wie wenig ich manchmal die Bedingungen meiner Forschung
beeinflussen kann. Über eine Unterstützerin erhielt ich Kontakt an eine Uni in
Bischkek, die mir vorher noch nicht bekannt war. Die Kontaktperson lud mich an
ihre Universität ein und wir vereinbarten via WhatsApp (der etwas unfreiwillige
Hauptkommunikationskanal für meine Forschung), dass ich in Englischer Sprache
einen Workshop für eine Studierendengruppe von 25-30 Personen zum Thema
Berufsorientierung abhalten würde. Der Workshop war für mich eine gute
Möglichkeit mit Studierenden dieser Uni in Kontakt zu kommen und auch das Thema
war mit Hinblick auf mein Forschungsinteresse nicht uninteressant. Im Gegenzug
würde es den Studierenden ermöglichen ihre Sprachfertigkeiten im Englischen zu
trainieren (auch wenn eine Gesprächssituation, in der für alle Beteiligten in
einer Fremdsprache gesprochen wird unvorteilhaft sein kann [z. B. Kruse et al.
2012]).
Als ich zum vereinbarten Tag an der Uni ankam, war ich schon etwas überrascht,
dass der Workshop im sehr repräsentativen Konferenzsaal der Universität
stattfinden sollte. Überwältigt war ich, als sich anstatt der angekündigten
25-30 auf einmal ca. 60 Studierende sowie das gesamte Kollegium des
Englischlehrstuhls im Raum einfanden. Natürlich war meine Planung nicht auf so
viele Menschen ausgelegt und ich musste im Hinblick auf die Methoden meines
Workshops improvisieren. Für meine Auswertung heißt das, zu reflektieren, dass
die Antworten der Studierenden vor ihrem kompletten Lehrkörper vorgetragen
wurden, was deren Inhalt durchaus beeinflusst, bzw. wodurch auch unsichere Menschen
sich deutlich weniger beteiligen.
Der Moment, in dem ich dann restlos überfordert war, kam als ich den anwesenden Personen dann auch noch als Englisch-Muttersprachlerin vorgestellt wurde. Peinlich berührt, versuchte ich das Missverständnis in meiner anschließenden Selbstvorstellung aufzuklären. Interessanterweise schien dies die anwesenden Studierenden und Lehrenden nur geringfügig zu irritieren. Die Studierenden zeigten Interesse an meiner Forschung und meiner Person und das Kollegium lud mich ein, gerne wiederzukommen. Ich war etwas perplex, aber dennoch zufrieden mit dem Workshop – obwohl ich nicht wirklich das Gefühl hatte, die Situation in der Hand zu haben.
Diese Situation beschreibt eigentlich ganz gut, wie ich mich
oft in meiner Forschung gefühlt habe: Ich gebe eine grobe Stoßrichtung vor,
aber wohin es sich dann entwickelt kann ich nur bedingt beeinflussen.
Vielleicht heißt auch das Offenheit gegenüber dem Feld: Loslassen können und
sich im Strudel der Ereignisse trotzdem irgendwie zurechtfinden können.
Oder es sind genau solche Prozesse, die beschrieben werden,
wenn es heißt Feldforschung sei ab einem gewissen Punkt ein „Selbstläufer“.
Auf jeden Fall bin ich sehr gespannt, in welche Situationen
mich mein zweiter Aufenthalt ab März noch führen wird.
Junge Menschen treffen sich mittags am Ala-Too Platz, dem zentralen Platz in Bischkek (Foto: Meier, Oktober 2021) |
DeYoung, Alan J. 2010. „Embracing Globalization:
University Experiences Among Youth in Contemporary Kyrgyzstan“. Central Asian
Survey 29(4): 421–34.
Kindon, Sara,
Rachel Pain, und Mike Kesby. 2010. Participatory Action Research Approaches and
Methods: Connecting People, Participation and Place. Reissue Edition. London:
Routledge.
Kruse, Jan,
Stephanie Bethmann, Debora Niermann, und Christian Schmieder (Hrsg.). 2012.
Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung in
Theorie und Praxis. Weinhem/Basel: Beltz Juventa.